„Ich bekomme dauernd ein Lineal oder einen Bleistift auf den Kopf. Ich weiß nicht wer das ist und warum der das tut“, erzählt mir ein zehnjähriger Schüler vor kurzem. Es tut ihm weh, dass einige ihn so belästigen. Ich kann diesen Jungen gut verstehen. Auch mich schmerzt es, wenn ich von anderen abgelehnt werde.

Gleichzeitig kann ich diese Situation gut ertragen, weil ich viele Menschen kennen, die mich sehr schätzen. Dazu kommt für mich eine tröstliche Erfahrung. Diese ist im Psalm 118 besungen: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig“. Gott ist gütig. Ich glaube, dass er mich für immer liebt. Ich glaube, dass Jesus diese ewige Liebe in unserer Welt sichtbar gemacht hat. Jesus ist die Liebe, die sogar den Tot überwunden hat. Jesus kennt mich, er spricht mich liebevoll beim Namen an. Das ist die ewige Liebe in ihm, die mich stärkt. Ich denke dabei auch daran, wie Jesus nach seinem Tot Maria von Magdala freundlich anredet. Er trifft sie weinend vor seinem Grab und sagt zu ihr liebevoll: „Maria“ (vgl. Joh 20,16).

Ostersonntag 2012, Homilie, Br. René Dorer

Bibelstellen: Apg 10, 34a. 37-43; Ps 118 (117), 1-2.16-17.22-23; Kol 3, 1-4 oder 1 Kor 5,6b-8; Joh 20, 1-18

Andere Literatur:

Das Testament der Heiligen Klara (=KlTest), hier: KlTest 59, Grau Engelbert (Hg.), Leben und Schriften der Heiligen Klara, Dietrich-Coelde-Verlag 1997, 317.

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„Ich bekomme dauernd ein Lineal oder einen Bleistift auf den Kopf. Ich weiß nicht wer das ist und warum der das tut“, erzählt mir ein zehnjähriger Schüler vor kurzem. Er versucht mit allen in seiner Klasse gut auszukommen. Es ist für ihn schmerzlich, dass einige ihn so belästigen. Ich kann diesen Jungen gut verstehen. Auch mich schmerzt es, wenn ich von anderen abgelehnt werde. Ich möchte ja, dass alle mich akzeptieren. Das spielt sich eben nicht. Das ist mir klar.

Gleichzeitig kann ich diese Situation gut ertragen, weil ich viele Menschen kennen, die mich sehr schätzen. Das brauche ich. Ich brauch auch die Anerkennung anderer. Dazu kommt für mich eine tröstliche Erfahrung. Diese ist im Psalm 118 besungen: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig“. Gott ist gütig, er liebt für immer. Dieser Psalmvers stärkt mich, damit auch ich vertrauen kann: Auch wenn ich nicht von allen geliebt bin. Gott ist gütig zu mir. Er wendet sich mir zu ohne Ende. Ich bin Gott wertvoll für immer.

Ich denke, das konnte Jesus ganz stark selbst erfahren. Jesus erlebte: Viele verachten mich. „Ihn haben sie an den Pfahl gehängt und getötet“, berichtet Lukas in der Apostelgeschichte. Doch etwas hat Jesus getragen. Er konnte singen: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig“. Jesus erlebte, dass sein Gott, der Vater im Himmel, gut ist zu ihm. Dass der Vater im Himmel für ihn sorgt, auch dann wenn er stirbt. Deshalb hat der Vater Jesus von den Toten erweckt. „Gott hat Jesus von Nazareth am dritten Tag auferweckt“, berichtet die Apostelgeschichte (Apg 10,40).

Für mich ist Jesus der Mensch, den Gott mit seiner Liebe getragen hat. Er ist selbst voll von dieser ewigen Liebe voll. Ich glaube, dass Jesus die göttliche Liebe ist, die in dieser Welt als Mensch sichtbar geworden ist. Das zeigt sich mir auch, wenn Jesus als der Auferstanden zum ersten Mal zu einem Menschen spricht. Nach dem Johannesevangelium ist das eine Frau. Maria Magdalena steht vor dem leeren Grab, in das Jesus gelebt wurde. Sie war sehr traurig, weil die Leiche von Jesus nicht mehr da war. Als sie sich umdreht, sieht sie Jesus. Doch sie erkennt ihn nicht. Jesus beginnt mit ihr zu reden. Er spricht sie beim Namen an: „Maria“. Er spricht die Frau beim Namen an. Erst jetzt spürt Maria. Es ist Jesus. Sie fällt vor Jesus hin, weil sie überwältigt ist. „Rabbuni!, das heißt: Meister“, staunt sie (vgl. Joh 20,16).

Der Auferstandene Jesus spricht Maria beim Namen an. In dieser persönlichen Anrede sehe ich ein Zeichen der Zuwendung und Wertschätzung. Für mich ist der Auferstandene selbst voll von der Liebe, die für immer ist. Er selbst ist die Liebe, die stärker ist als der Hass. Er ist der Gute, der die Dämonen der Verachtung besiegt.

Zu Ostern feiern wir Christen diese Liebe, die ewig ist, die niemand auslöschen kann. Wir feiern die Zuwendung Gottes, die stärker ist als der Tot. Das ist die himmlische Realität, die erst die ganze Wirklichkeit ausmacht: Gott ist ewige Liebe. In dieser Liebe ist Jesus für immer. Mit ihm kann auch ich erfahren, dass ich für immer geliebt bin. Für mich drückt das Paulus in seinem Brief an die Kolosser aus: „Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische! … euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott“. Ich soll mich auf die himmlische Dimension der Realität ausrichten – auf die Liebe. Ich soll mich auf Gott konzentrieren, der mich ewig liebt. Mit Christus zusammen kann ich das tun, mein Leben in der Liebe des Höchsten bergen. Wenn ich seine Wertschätzung für mich erlebe, dann kann ich auch andere besser lieben, ja alle zu lieben.

Ich denke da an die Heilige Klara von Assisi. Sie hat erlebt, dass der Auferstandene voll von Zuwendung ist. In ihrem Testament notiert sie: „Liebt einander kraft der Liebe Christi“ (KlTest 59). Die Liebe Christi war für die Heilige die entscheidende Kraft des Lebens.

Auch ich will mein Leben auf die Liebe bauen, die im Auferstandenen erfahrbar wird. Ich will zum Osterfest diese ewige Liebe feiern, die Jesus aus dem Grab geholt hat – die Liebe, die in Jesus ist. Denn ich vertraue, dass Jesus auch mich liebevoll beim Namen nennt, so wie am Tag der Auferstehung als er zur Frau aus Magdala sagte: „Maria“ (vgl. Joh 20,16).